Exponat des Monats März 2020
Petschaft der Chemischen Fabrik Grevenbrück/Ruhr-Sieg-Bahn, Holz/Metall, 1880
Die Chemische Fabrik an der Bahnstrecke in Grevenbrück war ein Bauprojekt, das bereits in der Gründungsphase in den 1870er Jahren die Gemüter erhitzte. Ein reiches Vorkommen natürlicher Bodenschätze wie Eisenerz, Schwefelkies und Kalkstein hatte die Region des südlichen Sauerlandes ab Mitte des 19. Jahrhunderts vermehrt auch für Großindustrielle attraktiv gemacht. Nachdem 1861 die Bahnstrecke von Hagen nach Siegen offiziell in Betrieb genommen werden konnte und Teile Lennestadts plötzlich ans Schienennetz angebunden waren, eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten des Exports.
Vor allem Meggen und Halberbracht waren die Bergbauorte, auf die Unternehmer ihre Hoffnungen setzten. Eisenerz wurde in der Gegend zwar schon seit dem Mittelalter abgebaut, es war dann aber vor allem die Entdeckung großer Vorkommen von Schwefelkies, die eine wichtige Rolle beim wirtschaftlichen Erfolg spielte. Der Bedarf an Schwefelkies war groß, denn dieser bildet die Grundlage für die Gewinnung von Schwefelsäure. „Schwefelsäure wiederum“, so erfährt man in der Dauerausstellung des Museums, „war einer der wichtigsten Grundstoffe der chemischen Industrie. In modernen Fabrikanlagen stellte man daraus Dynamit, Farben, Düngemittel und andere Chemikalien her.“ (Falk, S. 4-5).
Es überrascht also eigentlich nicht, dass sich Graf Friedrich von Landsberg-Velen diese Entwicklung mit dem Bau einer Fabrik zur chemischen Weiterverarbeitung der Abbauprodukte zunutze machen wollte. Der Unternehmer sah das Gesamtbild der Region, in dem für ihn durchaus richtig eine äußerst günstige Ausgangsposition für enormen wirtschaftlichen Aufschwung erkennbar war. Diese visionäre Sichtweise allerdings sorgte vielerorts für Verunsicherung und Widerstand.
Aller Proteste zum Trotz konnte die Gräflich Landsberg’sche Chemische Fabrik nach förmlicher Baubewilligung vom 21. März 1873 im Jahr 1874 in Grevenbrück eröffnen, eine stolze offizielle Benachrichtigung von Seiten des Grafen vom 10. März 1875 verkündet die erfolgreiche Inbetriebnahme.
Aus den ehemaligen Beständen der Chemischen Fabrik stammt das Exponat des Monats März (Leihgabe des Heimatvereins Grevenbrück), ein Petschaft mit deutlich abgenutztem Holzgriff und oval geformtem Metallkopf. Im Kopf befindet sich eine Gravur mit kleinen Schmuckelementen (u.a. zwei seitlich eingebrachten Sternen) zum Einbringen in Siegellack oder -wachs, mit folgendem Wortlaut: „Chemische Fabrik Grevenbrück Ruhr Siegbahn“. Die Auswahl des Schriftzuges belegt die enge Verbindung der Produkte aus der Chemischen Fabrik mit der Eisenbahnverbindung Richtung Hagen und Siegen. So dürfte auch die äußerst günstige Lage der Fabrik für den Export, nämlich direkt am Grevenbrücker Bahnhof, potentiellen Geschäftspartnern bzw. Kunden sofort positiv ins Auge gefallen sein.
Derartige Siegelstempel, Petschafte, dienen zur Authentifizierung wichtiger geschäftlicher Dokumente. Gerade bei der Verwendung von Siegellack statt -wachs konnte mit ziemlicher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass das Briefgeheimnis gewahrt blieb, denn diesen konnte man im Gegensatz zu Wachs nicht ohne Weiteres wieder spurlos verschließen. Heute werden moderne Petschafte vor allem in Projekten mit hoher Geheimhaltungsstufe, beispielsweise beim Militär, genutzt und sind deutlich kleiner als ihr im Museum vorgestellter historischer Vorgänger.
Quellen/zum Weiterlesen:
Falk, Susanne: Moderne Zeiten - Vom Leben im Sauerland 1850 - 1955. Ein Rundgang durch die Ausstellung. Lennestadt 2014. Online: https://www.lennestadt.de/aktiv/Kultur/Museum-der-Stadt-Lennestadt
Klein, Arnold M.: „Gräflich Landsberg’sche Chemische Fabrik“ (1873/74). Auswirkungen der Ruhr-Sieg-Bahn und einer innovativen Unternehmensgründung auf den wirtschaftlichen und sozialen Wandel in Förde – Grevenbrück (1850-1880). In: Jahresheft des Heimats- und Verkehrsvereins Grevenbrück e.V. Nr. 21/2002. S. 36-68. (Sonderausgabe „75 Jahre Heimat- und Verkehrsverein Grevenbrück e.V.“).